O Amor Deus
Ensemble RESONEZ
Die Schweiz verfügt über eine reiche Sammlung an mittelalterlichen Manuskripten, die Musiknotationen enthalten. Sie werden zum Teil an ihren Ursprungsorten, meist Klöstern, aufbewahrt und teilweise sogar noch heute von religiösen Gemeinschaften genutzt.
Das Ensemble RESONEZ widmet sein neues Programm den helvetischen Zeugnissen sowohl der mittelalterlichen als auch der zeitgenössischen Musik. Ein-, zwei- und dreistimmige geistliche Musik wird von den Sängerinnen des Ensembles a cappella gesungen, andere monodische Stücke aus dem Mittelalter werden auf der Solo-Blockflöte gespielt. Ein musikalisches Auftragswerk, von der Komponistin Ulrike Mayer-Spohn für das Ensemble RESONEZ geschrieben, vereint die Sängerinnen und die Instrumentalistin in einem gemeinsamen Werk mit dem Titel fER .
Sanctus, Ms. der Kathedrale von Lausanne
Die Liebe als Ursprung und Ziel des Lebens steht im Mittelpunkt des neuen Programms. Das Eingangsstück, das dem Programm seinen Titel gibt, wird Philippe le Chancelier zugeschrieben, einem grossen Denker des frühen 13. Jahrhunderts, der an der Universität von Paris lehrte und zahlreiche religiöse Gedichte und Lieder schrieb. Sein Konduktus „O Amor Deus Deitas“ ist in zwei Manuskripten festgehalten, die heute in Basel aufbewahrt sind. Dieses Gedicht dient ebenfalls als textliche Grundlage für Mayer-Spohns Komposition fER, welche als Abschluss des Konzerts die Zuhörer:innen zurückführt in die Gegenwart.
Weitere musikalische Quellen des Programms sind die Basler Liederhandschrift, ein Manuskript der Zisterzienserinnenabtei Maigrauge in Fribourg, eine Handschrift des Karthäuserklosters Klingenthal, der Codex Engelberg 314 und das Manuskript 383 der St. Galler Stiftsbibliothek, welches im 13. Jahrhundert in der Kathedrale von Lausanne verfasst worden ist.
Die besondere Schönheit des geistlichen Repertoires, zugleich tiefgründig, einfach und voller Licht, wird in Kirchen mit grossem Raumhall ideal zur Geltung gebracht. In Einbeziehung der kirchlichen Architektur wird die Vielfalt ihrer akustischen Möglichkeiten genutzt, indem die Interpretinnen an verschiedenen Orten in der Kirche musizieren. Eine eigens geschaffene Lichtkreation trägt dazu bei, aus dem Hörerlebnis ein Moment des Auftankens und der Meditation zu machen. Dieses Programm lädt ein zum Eintauchen ins Intime, in die Empfindsamkeit, und auch zur Öffnung gegenüber Unbekanntem, dessen Quelle doch in nächster Nähe ist.
© Philippe Jaquet
Künstlerisches Team:
Ensemble RESONEZ:
Ann Allen, Gesang
Angélique Greuter, Gesang
Katarina Šter, Gesang
Ulrike Mayer-Spohn, Blockflöten
Ulrike Mayer-Spohn, Komposition
Mark Searle, Lichtkreation
Angélique Greuter, Konzept und künstlerische Leitung
Ensemble RESONEZ
Das Ensemble RESONEZ tritt seit 2020 in unterschiedlichen Formationen auf und ist spezialisiert in Mittelaltermusik. Die Musikerinnen verbinden klangliche Recherchen und Kreativität mit rigorosem Forschergeist und verstehen es, dem heutigen Ohr die Musik aus früheren Jahrhunderten zugänglich zu machen. Sie stützen sich bei ihrer Arbeit stets auf musikwissenschaftliche Kenntnisse und transkribieren die Originalhandschriften selbst. In ihre Interpretationen lassen sie auch ihre eigenen künstlerischen Persönlichkeiten und ihre weiteren musikalischen Erfahrungen einfliessen. Das Ergebnis ist eine lebendige mittelalterliche Musik, die für heutige Zuhörer:innen überraschend schön, spannend und mitreissend wirkt.
Nebst Auftritten in romanischen und gotischen Kirchen (Kartäuserkirche Basel, Wehrkirche St. Arbogast in Muttenz, Collégiale von St. Ursanne, Dorfkirche Riehen, Romanische Kirche von Kleinhöchstetten) spielte das Ensemble ebenfalls in der renommierten Sammlung mittelalterlicher Textilien der Abegg-Stiftung im Kanton Bern. Im November 2022 war das Ensemble zu Gast im bird’s eye jazz club von Basel im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Festival TEXTUR – Alte Musik in neuen Kombinationen und der Reihe Spiegelungen.
Ulrike Mayer-Spohn
Auftragskomposition für das Programm O Amor Deus
fER, ein Auftragswerk von Ars vivendi – Life as Art für das Ensemble RESONEZ, umspielt Intervall-Varianten, die sich aus verschiedenen historischen Stimmungen (Intonationssystemen) ergeben, im Speziellen unterschiedlich intonierten Terzen. In zerbrechlichen Klängen, ein brüchiger und zarter Tonansatz ist im Stück zentral, thematisieren sich Begriffe wie Schatten, Ränder und Fragmente; sie verweisen einerseits auf historisch gewachsene und beinahe vergessene Intervallordnungen, andererseits schlagen sie eine Brücke zur Mikrointervallik, die im aktuellen Umgang mit der eigenen Geschichte wie mit aussereuropäischen Musikkulturen neue und intensive Beachtung findet.
Lebenslauf
Aussergewöhnliche Vielfalt zeichnet die Komponistin und Multiinstrumentalistin Ulrike Mayer-Spohn aus. Seit 1999 wirkt sie als Blockflötistin, Geigerin, Bratscherin oder Fidelspielerin bei spezialisierten Ensembles für Alte Musik (Amsterdam Barok Compagnie, Collegium Musicum Stuttgart, La Chapelle Ancienne, La Morra u.v.m.) und konzertiert in Deutschland, China, Holland, Frankreich, Spanien, Italien und in der Schweiz. Im Bereich der zeitgenössischen Musik arbeitet sie mit weltweit führenden Komponisten zusammen und spielt jährlich über 20 ihr gewidmete Uraufführungen, die sie auch für den Rundfunk sowie bei VDE Gallo auf CD eingespielt hat.
Ihre ersten Kompositionen gehen auf das Jahr 2007 zurück. Ihre Werke wurden seitdem von namhaften Formationen in der Schweiz, Frankreich, Griechenland, Italien, Russland, Australien, USA und China uraufgeführt und vom Schweizer Radio ausgestrahlt (Stuttgarter Vocalsolisten, Ensemble Phoenix Basel, Vertigo, DissonArt, UMS `n JIP u.a.m.) unter der Leitung von Beat Furrer, Mark Foster, Tsung Yeh, Jürg Henneberger und Filippo Perocco.
Mit dem Schweizer Komponisten und Sänger Javier Hagen bildet sie das experimentelle Neue Musik-Duo UMS `n JIP für Stimme, Blockflöten und Elektronik, das neben Ensemble Modern, Intercontemporain und Kronos zu den aktivsten weltweit gehört und 2011 das prestigeträchtige MusiquePro Stipendium gewonnen hat. Kern ihrer Forschungsarbeiten sind die Bereiche des Musiktheaters (Kammeropern One, Two, Three, Four, Five), der liveelektronischen Musik und der Klangspatialisierung.
Ulrike Mayer-Spohn wurde in mehreren internationalen Kompositionswettbewerben ausgezeichnet: 2. Preis bei Culturescapes 2010, 2. Preis beim Kompositionswettbewerb des Musikfestivals Bern 2011, Scholarship Award 2011 Music Village Mount Pelion Greece, Call for Scores Award L’Arsenale Treviso Italy 2011.
Rhone Zeitung: „eine minimalistische hochexpressive Arbeit, die bereits nach dessen Premiere internationale Einladungen von bekannten Festivals in Frankreich und Ostasien erhalten hat.“
(One, Sion 1/09)